Marija Wakounig Ein Grandseigneur der Diplo­matie. Die Mission von Franz de Paula von und zu Liechtenstein in St. Petersburg 1894–1898. Lit Verlag Berlin, Wien 2007. 352 S. = Europa Orientalis, 1.

„Eben weil West-Europa die historische Entwicklung Rußlands bisher nicht kennt […], hielt ich es für die Erziehung unserer Diplomaten […] für höchst nützlich, daß endlich die Ergebnisse gründlicher Forschungen aus russischen Quel­len ihnen die Augen öffne.“ (S. 78) Dies schrieb Franz de Paula von und zu Liechtenstein 1900 über seine eigene Erfahrung als Botschafter Österreich-Ungarns in St. Petersburg (1894–1898), und dies war wohl auch der Anlass, warum er 1907 die Mittel zur Verfügung stellte, um das Seminar für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien zu gründen. Marija Wakounig hat sich 1996 in Wien mit einer Arbeit über Franz de Paula von und zu Liech­tenstein habilitiert, die hiermit vorliegt. Eine klare Fragestellung oder einen neuen Ansatz hat sie nicht. Sie erwähnt den Aufbruch in der Diplomatiegeschichte und nennt die einschlägigen Arbeiten von Paulmann, Oster­ham­mel und anderen, ohne deren Überlegungen aber in ihre eigene Arbeit einfließen zu lassen. Sie will eine „Fallstudie über die Rolle bzw. die Ver­wirklichung eines Diplomaten“ (S. 29/30) schreiben, und sie will der Frage nachgehen, wie es zur Gründung des Seminars für osteuropäische Geschichte kam (S. 23). Wakounig erzählt weitestgehend eine klassische Ereignis- und Diplomatiegeschichte, für die sie das „Einfühlungsvermögen in das Denken und Handeln der physischen Akteure“ (S. 15) für unerlässlich hält.

Einer biographischen Skizze des Franz de Paula von und zu Liechtenstein (1853–1938) fol­gen die Umstände seiner Ernennung sowie ein eigener Abschnitt über das damalige Russland und schließlich die Beschreibung der vier Missionsjahre (1894–1898). Franz de Paula von und zu Liechtenstein war in seiner Jugend ein leichtfertiger Mann, der großzügig allen möglichen und unmöglichen Personen Geld lieh und 1879 von seinem Attaché-Posten in Brüssel abgezogen werden musste, damit ein größerer Skandal vermieden wurde. Nach Jahren als Privatier wurde er 1894 nahezu ohne diplomatische Erfahrung nach St. Petersburg geschickt. Sein größter Vorzug war seine finanzielle Unabhängigkeit, denn der Petersburger Posten galt als der kostspieligste; das reguläre Botschaftersalär konnte ein standesgemäßes Leben in der Petersburger Society nicht finanzieren (S. 71). Wakounig vergibt hier die Chance, wenn nicht eine Kultur-, so doch zumindest eine Alltagsgeschichte des Diplomatendaseins zu schreiben. Sie hat wunderbare Quellen über die Ausstattung eines Botschafters, der mit 24 Kisten Madeira, 20 Kisten Champagner und 26 Kisten Bordeaux anreiste (S. 75), und sie beschreibt, wie Franz de Paula von und zu Liechtenstein bei seinem Bruder, dem Fürsten von Liechtenstein, 50.000 Gulden aushandelte, weil der „Installationskredit“ des Auswärtigen Amtes über 10.000 Gulden bei weitem nicht reichte (S. 109–110). Aber Wakounig misst diesen Repräsentationsfragen weiter keine Bedeutung zu und lässt sich ihr Buch von den Akten diktieren, die sie weiter vorantreiben und ihr keine Zeit für eine Interpretation lassen. Dabei bleibt unklar, welche Geschichte sie eigentlich erzählt: die der großen Politik oder der Küchenmädchen, der Salons und Gerüchteküchen oder der Rivalität zwischen Minister und Botschafter, die der Orientalischen Frage oder des französisch-russischen Bündnisses? Alles kommt vor, aber es gibt keine Analyse, keine systematischen Fragen, keine Dramaturgie, die sich entfaltet. Selbst Franz de Paula von und zu Liechtenstein bleibt merkwürdig blass und konturlos, obwohl Wakounig unverhohlen Sympathie für den „unabhängigen“ Fürsten mit dem „barocken Schreibstil“ empfindet (S. 115). Eine weitere Chance, eine Kulturgeschichte im Sinne von Paulmanns „Pomp und Politik“ zu erzählen, verpasst Wakounig im folgenden Kapitel, in dem sie erstaunlich nüchtern die eigentlich atem­beraubende Geschichte erzählt, wie sich die Petersburger Botschafter darum duellierten, wer anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten von Zar Nikolaus II. 1896 den prächtigsten Ball ausrichten würde. Anderthalb Jahre investierte Franz de Paula von und zu Liechtenstein, um Gebäude herrichten, Stromleitungen legen, Gobelins aus Wien heranschaffen sowie Tafelsilber, Sessel und Porzellan für 600 Gäste auftreiben zu lassen. Aber Wakounig sagt kein Wort darüber, warum es für die Botschaftswelt so eminent wichtig war, diesen Dinnerkrieg zu gewinnen. Auch dies bleibt eine eindimensionale Geschichte, die erzählt wird, ohne ihr Bedeutung zu verleihen, geschweige denn sie in den Kontext der Großen Politik zu stellen. Enttäuschend ist auch das letzte Kapitel über die Analysen, die Franz de Paula von und zu Liechtenstein nach Wien schickte. Wakounig reiht aneinander, was der Botschafter von diesem und jenem hielt, dass er zarentreu war und doch mit den streikenden Arbeitern sympathisierte.

So ist eine Schrift entstanden, die Franz de Paula von und zu Liechtenstein als weltoffenen Mäzen würdigt, der gegen alle Widerstände eine jüdische Bürgerliche ehelichte und dem wir die Osteuropaforschung in Wien zu verdanken haben. Hinsichtlich der (neuen) Diplomatiegeschichte werden einem von diesen „Ergeb­nis­se[n] gründlicher Forschungen aus russischen Quellen“ die Augen leider nicht geöffnet.

Susanne Schattenberg, Bremen

Zitierweise: Susanne Schattenberg über: Marija Wakounig: Ein Grandseigneur der Diplomatie. Die Mission von Franz de Paula von und zu Liechtenstein in St. Petersburg 1894–1898. Lit Verlag Berlin, Wien 2007. 352 S. = Europa Orientalis, 1. ISBN: 978-3-7000-0742-5, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 4, S. 605-606: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schattenberg_Wakounig_ Ein_Grandseigneur.html (Datum des Seitenbesuchs)